Wie die Wohnungen unleistbar wurden – zum Beispiel in Österreich

Karl Czasny

Österreich gilt manchen deutschen Linken immer noch als ein wohnungspolitisches Vorzeigemodell, und die Bundeshauptstadt des Alpenstaats genießt einen geradezu legendären Ruf als das Mekka des kommunalen Wohnbaues (Stichwort „Rotes Wien“). Tatsächlich hat das Land jedoch seine wohnungspolitische Sonderstellung in den letzten Jahrzehnten Schritt für Schritt eingebüßt. Karl Czasnys Text wendet sich an ein österreichisches Publikum, um diese Entwicklung aufzuzeigen und zu einem wohnungspolitischen Paradigmenwechsel aufzurufen. Deutsche LeserInnen kann er bei der Entwicklung eines realistischeren Blicks auf die Wohnungspolitik des kleinen Nachbarstaats unterstützen und zur Überprüfung einiger Argumente anregen, die auch in den hiesigen wohnungspolitischen Diskussionen eine wichtige Rolle spielen.

In Österreich stiegen im letzten Dezennium die Mieten und erst recht die Preise fürs Haus- und Wohnungseigentum wesentlich stärker als die Einkommen. Die 1,3 Millionen armutsgefährdeten Menschen mussten schon 2020 (also noch vor dem jüngsten Inflationsschub!) im Mittel fast 40% ihres Einkommen fürs Wohnen ausgeben, und bei den Ärmsten der Armen lag dieser Wert gar bei 56%. Was bürgerliche KommentatorInnen Sorgenfalten aufziehen lässt, treibt ihren links gesinnten KollegInnen Zornesröte ins Gesicht. Letztere dürften klammheimlich auch Schadenfreude empfinden. Denn die jüngst noch durch die Inflation verschärfte Wohnkostenkrise schuf die Basis für sensationelle Erfolge der Kommunisten bei zwei regionalen Wahlen, war wohl mitbeteiligt am Linksruck an der Spitze der Sozialdemokratie und wird alten sowie neuen Linksströmungen auch in den kommenden Jahren noch so manches Erfolgserlebnis bescheren.

Die Linke sollte jedoch nicht bei ihren Gefühlsreflexen stehen bleiben, sondern sich ernsthaft bemühen zu begreifen, wie es in einem der ursprünglich besten Wohnversorgungsysteme Europas so weit kommen konnte. Denn es gilt aus der bitteren Erfahrung der Sozialdemokratie zu lernen, die sich bei der in den letzten Jahrzehnten erfolgten Transformation dieses Systems so verhielt wie der legendäre Frosch im Topf, dessen Wasser ganz langsam erhitzt wird: Er merkt die in kleinen Schritten erfolgende Veränderung nicht und bleibt so lange gemütlich im Wasser sitzen, bis er praktisch bei lebendigem Leibe gekocht wird. Weil die meisten der erst in ihrer Summe verhängnisvollen Wohnreformen für sich genommen unspektakulär waren, trug sie die Sozialdemokratie größtenteils mit und lud so einen Teil der Schuld an dem sich zuletzt drastisch verschärfenden Leistbarkeitsproblem auf sich. Jene Mitschuld aber ist eine der Ursachen dafür, dass ihr viele der besonders stark unter den explodierenden Wohnkosten leidenden Unter- und Mittelschichthaushalte das Vertrauen entzogen und sich dem Rechtspopulismus in die Arme warfen. Die Linke wird diesen verunsicherten, aber nicht endgültig verlorenen WählerInnen in der Frage des leistbaren Wohnens nur dann überzeugende Lösungsperspektiven aufzeigen können, wenn sie selbst zu einem umfassenden Verständnis jenes lange gewachsenen und entsprechend vielschichtigen Problems findet.

Die folgende grobe Skizze wichtiger Konturen der jüngeren Geschichte unserer Wohnversorgung beabsichtigt auf zwei Wegen zu jenem vertieften Problemverständnis beizutragen: Zum einen will sie die Aufmerksamkeit auf den für die aktuelle Krise verantwortlichen langjährigen Prozess der Transformation unserer Wohnversorgung lenken. Zum anderen möchte sie den Blick für den systemischen Charakter des Zusammenspiels der unterschiedlichen Teile dieses zentralen Bereichs der Daseinsvorsorge schärfen.

1. Die längst vergangene heile Welt des Wohnens

Am Beginn der neunzehnachtziger Jahre lebten wir noch in einer heilen Welt des Wohnens. Das war zwar bei weitem kein Paradies, denn die Fassaden in unseren Großstädten waren grau, es gab noch sehr viele Bassenahäuser, und beim Bezug einer in einem solchen Haus gelegenen Wohnung musste man dem Vermieter oft eine illegale Ablöse im Geldkuvert übergeben. Paradiesisch groß war jedoch das Angebot solcher Altwohnungen, für die es zumeist unbefristete Mietverträge gab. Und paradiesisch niedrig war die Wohnkostenbelastung der MieterInnen. Im Schnitt lag der Anteil der Bruttokaltmiete am Haushaltsnettoeinkommen bei knapp 10%. Selbst bei Berücksichtigung der erwähnten Ablösezahlungen stieg er nur auf gut 13% an.

Diese aus heutiger Perspektive unglaublich niedrigen Werte waren die Folge davon, dass Österreich nach dem zweiten Weltkrieg einen wohnungspolitischen Sonderweg eingeschlagen hatte. Während andere europäische Staaten ihr in der ersten Nachkriegszeit streng bewirtschaftetes Wohnungswesen sehr bald wieder für den freien Markt geöffnet hatten, ruhte die Wohnversorgung hierzulande in allen Ballungsräumen nach wie vor auf drei öffentlich kontrollierten Säulen: Die erste bildete der streng regulierte und (besonders in Wien) sehr große Sektor der bereits erwähnten privaten Altmietwohnungen, während die zweite in einem (vor allem wieder in Wien) nicht weniger bedeutenden Sektor kommunaler Mietwohnungen bestand. Die dritte Säule war ein öffentlich geförderter Wohnbau, der durch gemeinnützige Wohnungsunternehmen abgewickelt wurde und zuletzt den Bau von Gemeindewohnungen weitgehend ersetzt hatte. Die gemeinnützigen Bauträger waren vom Staat mit steuerlichen Privilegien ausgestattet worden und hatten sich dafür im Gegenzug auf eine Preisbindung der errichteten Wohnungen verpflichtet. Begrenzt hatte man auch ihre aus dem Wohngeschäft resultierenden Gewinne, die wieder in den Erhalt und Neubau von Wohnungen investiert werden müssen. Die enge Verknüpfung eines auf diese Weise sozial gebundenen Wohnbaukapitals mit der überwiegend aus niedrig verzinsten Darlehen bestehenden öffentlichen Wohnbauförderung ermöglichte Österreich lange Zeit eine sehr effiziente (d.h. wenig Budgetmittel verschlingende) Sicherstellung der Leistbarkeit von neu errichteten Miet- und Genossenschaftswohnungen.

Zentrale Bedeutung für das Funktionieren des eben skizzierten Systems der Wohnversorgung hatte das Zusammenspiel seiner drei Säulen. Dabei konnten die einkommensschwächsten Haushalte auf die billigen kommunalen Wohnungsbestände zählen, während die Aufsteiger- und Mittelschichthaushalte mit dem trotz öffentlicher Förderung und sozialer Bindung der Bauträger etwas teureren Neubauwohnungsangebot der Gemeinnützigen bedient wurden. In einer Art von stillschweigendem Fairness-Abkommen war auch der Sektor der privaten Mietwohnungen in dieses Zusammenspiel einbezogen: Weil die unteren Einkommensschichten zwar durch ihre Steuerleistungen an der Aufbringung der Wohnbauförderungsmittel beteiligt waren, aber nur schwer Zugang zu diesen vorrangig in die Neubauwohnungen der Gemeinnützigen fließenden Subventionen fanden, ging die Wohnungspolitik im Gegenzug sehr behutsam mit dem für diese Bevölkerungsschichten leistbaren Bestand an billigen Altmietwohnungen um. Neben streng kontrollierten Mietobergrenzen (Stichwort: Kategoriemietzins) und einem nicht minder strengen Kündigungsschutz spielte dabei auch die Erhaltungs- und Sanierungspolitik eine wichtige Rolle. So verzichtete man etwa im Unterschied zu einigen westeuropäischen Staaten auf großflächige Abbruchsanierungen. Darüber hinaus verhinderten eine mehrjährige Zweckbindung der Mieterträge für die Hausinstandhaltung und das Recht der Mieter zur Erzwingung notwendiger Instandhaltungen einen raschen Verfall dieser überwiegend noch aus dem 19. Jahrhundert stammenden Wohnungsbestände.

2. Wie man den privaten Mietwohnungsbestand dem Markt auslieferte

Im Verlauf der achtziger Jahre kam es mit dem Ende der sozialdemokratischen Alleinregierung und dem in jener Zeit beginnenden Vormarsch neoliberaler Politikkonzepte im Sektor der privaten Mietwohnungen zu einem schrittweisen Abbau der strengen Preisbindungen. In der ersten Etappe wurden die am besten ausgestatteten Wohnungen aus der Kategoriepreisregelung herausgenommen, was zwar zu sehr vielen an sich erwünschten Anhebungen des Wohnstandards führte, zugleich aber die Anzahl der vorhandenen Billigwohnungen empfindlich reduzierte. In einem zweiten ‚Reform‘-Schritt ersetzte man dann die Kategoriepreisregelung durch das sogenannte Richtwertsystem. Dieses wird durch eine Vielzahl an Zu- und Abschlägen dem tatsächlichen Qualitätsniveau der einzelnen Wohnung besser gerecht als die nur vier Qualitätsstufen vorsehenden Ausstattungskategorien. Darüber hinaus erfasst es nun auch wieder die am besten ausgestatteten Wohnungen. Es hat aber einen wesentlich schwächeren Preisdämpfungseffekt als die vorangehende Kategoriepreisregelung. Außerdem überlässt es die sehr großen und die ab 1953 errichteten Wohnungen dem freien Markt.

Begleitet war diese Entwicklung von weiteren Veränderungen im Sektor der privaten Mietwohnungen. Diese erhöhten ebenfalls den Einfluss des Marktes auf das durchschnittliche Niveau der Mieten, was in Zeiten eines demographisch bedingten, langfristigen Nachfrageüberhangs zu weiteren Preissteigerungen führen musste. So schloss man etwa beträchtliche Teile des Bestands von der Geltung des im Mietrecht verankerten Kündigungsschutzes aus. Es kam und kommt dadurch bei einem immer größeren Teil der Wohnungen dieses Sektors zu einem sehr häufigen MieterInnenwechsel, wobei jeder dieser Wechsel mit einer Anpassung der Miete an das jeweils aktuelle Preisniveau verbunden ist. Eine weitere Ursache für diesen folgenschweren Anstieg der Fluktuationsrate bei privaten Mieten liegt darin, dass man viele Wohnungen im Zuge der Sanierung in Eigentumswohnungen umwandelt, die dann (soweit sie der Eigentümer nicht selbst nutzt) nur mehr befristet vermietet werden. Waren bis zum Beginn der neunzehnachtziger Jahre die meisten privaten Mietverhältnisse noch unbefristet, so wird 2020 nahezu jede zweite Wohnung dieses Sektors nur noch befristet vermietet.

In Zeiten hoher Inflation resultieren aber im Sektor der privaten Mieten auch ohne MieterInnenwechsel extreme Preisanstiege. Verantwortlich dafür sind die in den meisten Mietverträgen enthaltenen Indexklauseln, die zu einem Perpetuum Mobile der Mehrbelastung führen. Dabei bewirkt die Inflation in einem ersten Schritt einen Anstieg der indexgebundenen Mieten. Letztere tragen dann ihrerseits in einem zweiten Schritt wegen des hohen Anteils der Wohnausgaben im Warenkorb des Preisindex maßgeblich zu dessen neuerlichem Ansteigen bei. Durch diesen Mechanismus kam es in den letzten 15 Monaten bei einem Teil der privaten Altmietwohnungen zu vier Mietenerhöhungen im Gesamtausmaß von nahezu 24%. Das liegt weit über dem zur Erhaltung der Gebäude erforderlichen Ausmaß. Es fließt nämlich nur ein Teil der gesamten Hauptmietzinseinnahmen in die Erhaltung. Nach Einschätzung des AK-Wohnrechtsexperten Walter Rosifka „wäre die Deckelung der Anhebung des gesamten Hauptmietzinses mit 2 Prozent jährlich eine ausreichende Vorsorge für die Kosten bzw. Kostensteigerungen“ bei den Erhaltungsmaßnahmen.

Durch die skizzierten Entwicklungen wurden die Funktionen des privaten Mietwohnungssektors der Ballungszentren als Rückzugsgebiet für Einkommensschwache, als ‚Warteraum‘ für die auf geförderte Neubauwohnungen sparenden Jungfamilien, sowie als Einstiegsbereich für Zugewanderte und StudentInnen empfindlich beeinträchtigt. Die Handlungsanweisungen der neoliberalen Ökonomie sehen für Situationen wie diese die Gewährung von Beihilfen für bedürftige Haushalte vor. Derartige Beihilfen gab es in Österreich lange Zeit nur im Sektor des geförderten Wohnbaues. Dort bezeichnet man sie als Maßnahmen der „Subjektförderung“, um sie von den zur Verbilligung der Errichtung von Wohnraum gewährten Subventionen zu unterscheiden, welche man „Objektförderungen“ nennt. Im geförderten Wohnbau haben sich die Subjektförderungen bestens bewährt, weil die Mieten hier gesetzlich geregelt sind (Stichwort: Kostenmiete) und die Bauträger nicht die Möglichkeit haben, auf die beihilfebedingte Kaufkraftsteigerung der Mieter mit entsprechenden Preiserhöhungen zu reagieren. Genau dies ist aber bei den privaten Mieten der Fall. Seit daher die Wohnungspolitik den Anweisungen der neoliberalen ÖkonomInnen folgend die davor nur im geförderten Sektor etablierten Subjektförderungen auch für private Mietwohnungen gewährt, geschieht, was geschehen muss: Der Fördereffekt wird durch entsprechende Mietenanstiege immer wieder ganz schnell von den Vermietern abgesaugt, sodass die beihilfebedingte Kaufkraftstärkung der Wohnungsnachfrager letztlich gerade nur den ohnehin bestehenden Preisauftrieb verstärkt.

3. Wie der sozialen Wohnbau zugrunde gerichtet wurde

Wegen der systemischen Verkoppelung der drei Säulen unserer Wohnversorgung hatte die Öffnung des Füllhorns der Subjektförderung für die privaten Wohnungsmärkte auch äußerst negative Folgen für den geförderten Wohnbau. Die jetzt in den privaten Sektor fließenden Subjektfördermittel gingen nämlich der Objektförderung verloren und verminderten so das Angebot an preisgünstig errichteten und dauerhaft preisgeregelten Miet- und Genossenschaftswohnungen. Schon sehr bald nach der erstmaligen Gewährung von Individualbeihilfen für private Mietverhältnisse kam es zu einem rapiden Anstieg der Subjektförderausgaben. 2015 flossen dann bereits fast 18% der gut 2 Milliarden Euro, die man damals für die Objektförderung von Neubauten und die Subjektförderung zur Verfügung stellte, in die Beihilfen.

Diese vom Zurückfahren der Regulierung des Marktes der privaten Mietwohnungen ausgelöste Reduktion des Potentials der Objektförderung ist aber bei weitem nicht die einzige Ursache dafür, dass das Angebot an sozialen Mietwohnungen immer weiter hinter dem gesellschaftlichen Bedarf zurückbleibt. Dem kontinuierlichen Anwachsen dieser Bedarfslücke liegt nämlich noch eine ganze Reihe weitere Ursachen zugrunde.

An erster Stelle ist hier die in vielen Teiletappen ablaufende Reduktion der dem Wohnbau zufließenden Steuermittel zu nennen. Dieser finanzielle Ausdünnungsprozesses ging einher mit einer schrittweisen Verlagerung der Förderkompetenz des Bundes an die Länder (Stichwort: „Verländerung“) und mit einer fortschreitenden Lockerung der Zweckbindung der vom Bund an die Länder ausgeschütteten Wohnbauförderungsmittel. Sie mündete schließlich 2009 in eine vollständige Beseitigung der Zweckbindung. In Verbindung mit der Verländerung machte der allmähliche Verlust der Zweckbindung die Wohnbauförderung zu einer Spielwiese für die Landespolitik. Denn die bekam nun die Möglichkeit, die eigentlich für die Förderung des Neubaus von sozialen Mietwohnungen bereitgestellten Gelder für ganz andere Ziele (etwa für Baumaßnahmen im Bereich der Infrastruktur oder für CO2-Reduktionsmaßnahmen) zu verwenden. Dadurch entstand allein in den ersten auf die vollständige Aufhebung der Zweckbindung folgenden Jahren bis 2012 eine Lücke von 5.000 zu wenig gebauten Wohnungen.

Die seit der Verländerung der Wohnbauförderung mögliche Umwidmung von Wohnbaugeldern betrifft neben den jährlich neu zufließenden Fördermitteln auch die Rückflüsse aus den Förderdarlehen früherer Jahre. Sie waren einst ein ganz wesentlicher Garant für die finanzielle Nachhaltigkeit und die aus ihr resultierende hohe Effizienz der heimischen Wohnbauförderung. Vor dem Hintergrund allgemeiner Budgetknappheit und der in der Zeit des Umstiegs vom Schilling auf den Euro besonders streng beachteten Maastricht-Kriterien transferierten nun aber die Länder kurz nach der Jahrtausendwende einen großen Teil der Rückflüsse in die allgemeinen Landeshaushalte, um sie anschließend zu verkaufen. Zwischen 2001 und 2008 wurden im Rahmen dieser Bemühungen um Budgetkonsolidierung rd. 14 Mrd. Euro an aushaftenden Darlehen veräußert. Besonders unverantwortliche Landespolitiker machen selbst noch in der aktuellen Leistbarkeitskrise von dieser Möglichkeit Gebrauch. So beschloss der NÖ Landtag 2021 mit den Stimmen von ÖVP und FPÖ den Verkauf von bis zu 1,65 Mrd. Euro an bestehenden Forderungen an die Landesbank Hypo Niederösterreich, die sie dann in einem zweiten Schritt an Finanzinvestoren weiterreichen soll.

Das jährliche Volumen der neu errichteten Sozialwohnungen leidet aber nicht allein unter dem Verkauf aushaftender Darlehen und einer nicht dem Wohnbau dienenden Verwendung neu zufließender Fördermittel. Denn ein beträchtlicher Teil der Wohnbausubventionen dient zwar der Errichtung von neuem Wohnraum, ist aber dem sozialen Wohnbau entzogen, weil man damit den Bau von Eigenheimen und Eigentumswohnungen fördert.

Dabei ist natürlich zu berücksichtigen, dass der Besitz eines Eigenheims in ländlichen Gebieten seit langem tief in den Wertvorstellungen und Wohnwünschen der Bevölkerung verankert ist. Man darf sich daher nicht wundern, wenn bürgerliche Parteien die daraus resultierenden Erwartungen vieler WählerInnen an die Förderpolitik mit größter Bereitwilligkeit erfüllen. In diesem Sinne standen etwa 2022 im schwarz-blau regierten Oberösterreich 1.559 geförderten Mietwohnungen 1.744 geförderte Eigentumswohnungen und Eigenheime gegenüber. Es schmerzt aber doch sehr, dass die Sozialdemokratie und die ihr nahe stehenden Gemeinnützigen in den letzten Jahrzehnten offenbar weder bereit noch in der Lage waren, ein breites Miet- und Genossenschaftsangebot zu entwickeln, das …

  • durch attraktive Formen des verdichteten Flachbaues
  • und die Kooperation der Bauträger mit sogenannten Baugruppen (das sind Haushalte, welche gemeinsam und selbstbestimmt Wohnraum zur Eigen- und Gemeinschaftsnutzung schaffen wollen)

echte Alternativen zum Eigenheim bietet. Dieses nun schon jahrzehntelang zu beobachtende Versagen beeinträchtigte nämlich nicht nur die Wohnversorgung der einkommensschwachen Haushalte des ländlichen Raumes, sondern trägt darüber hinaus auch wesentlich zu dem in Österreich besonders hohen Grad der Zersiedelung und Bodenversiegelung bei. Schließlich ist die Fixierung breiter Bevölkerungsschichten auf diese Wohnform auch eine der wichtigsten Ursachen für die viel zu niedrige Energieeffizienz unseres Wohnungsbestands, da das Einfamilienhaus pro Wohneinheit einen deutlich höheren Energieverbrauch aufweist als ein energietechnisch gleich gut aufgestelltes Mehrfamilienhaus.

Dass die Sozialdemokratie im Sektor des Wohnungswesens keine offensive Gegenposition zu der von den bürgerlichen Parteien und Medien höchst erfolgreich propagierten Eigentümerideologie entwickelte sondern ihr selbst unterlag, hatte und hat auch für die bereits vorhandenen Sozialwohnungsbestände verheerende Auswirkungen. Denn 1994 verschaffte die große Koalition aus SPÖ und ÖVP den Mietern einer geförderten Miet- oder Genossenschaftswohnung die Möglichkeit, diese zu kaufen, nachdem sie mindestens zehn (inzwischen sogar nur noch fünf) Jahre darin gewohnt haben. Bisher wurden auf diesem Weg rund 8% des aktuellen Gesamtbestands der von den Gemeinnützigen verwalteten Miet- und Genossenschaftswohnungen in Eigentumswohnungen verwandelt. In absoluten Zahlen ergibt das eine Summe von mehr als 50.000 Wohnungen, die jedes Jahr um rund 4.000 weitere Wohnungen anwächst. Da sie alle nach Ablauf einer fünfzehnjährigen Spekulationsfrist und Mietenbindung durch das MRG frei verkauft und vermietet werden dürfen, gelang den AnhängerInnen des freien Wohnungsmarkts mit diesem Coup eine völlig geräuschlose, von allen Seiten akklamierte Zerstörung der sozialen Nachhaltigkeit der Wohnbauförderung.

Nicht ganz so geräuschlos, aber letztlich ohne große Gegenwehr verlief ein weiterer im Endresultat ebenfalls höchst erfolgreicher Anschlag, der dasselbe Ziel verfolgte. Er wurde während der schwarz-blauen Alleinregierung im Jahr 2003 unter Leitung des damaligen Finanzministers Grasser durchgeführt und bestand in der Privatisierung von rund 60.000 Wohnungen, die zuvor im Besitz eines der öffentlichen Hand gehörenden gemeinnützigen Bauträgers standen und damit einer unbefristeten Preiskontrolle unterlagen. Man überantwortete sie für einen Schleuderpreis von rund 16.000 € pro Wohnung (!) der Immobilienspekulation, wobei der bei dieser Privatisierung von einem heimischen Konsortium um eine knappe Milliarde € erworbene Bauträger danach um schlanke 5,2 Milliarden € an den größten deutschen Immobilienkonzern weiter verkauft wurde. Hinter diesem Käufer verstecken sich finanzkapitalistische Heuschrecken-Fonds (an der Spitze BlackRock, die weltweit größte Schattenbank), und er selbst ist bekannt dafür, die Rendite seiner Anleger mit allen Mitteln auf Kosten der Mieter zu erhöhen.

Kurz zusammengefasst, passierte hier also folgendes: Auf der einen Seite entstand privaten Investoren ein sattes Plus von 4,2 Milliarden €. Auf der anderen Seite wurde der als Ruhepol auf einem überhitzten Wohnungsmarkt fungierende heimische Bestand an gemeinnützigen Mietwohnungen um rund 10% geschrumpft. Der dadurch entstehende Verlust an leistbarem Wohnraum entspricht in seiner Größenordnung etwa dem gesamten Wohnungsbestand einer Stadt wie Klagenfurt. Angesichts der Größenordnung dieses kaltblütig durchgezogenen Anschlags auf die Daseinsvorsorge der ÖsterreicherInnen wirkt es fast wie ein Hohn, dass man dessen Urheber nur dafür vor Gericht stellte, dass er im Zuge der Durchführung dieses Coups so nebenbei zehn 10 Millionen Euro auf von ihm selbst und seinen Kumpanen kontrollierte Konten umleitete.

Mit diesem Schurkenstück ist aber noch immer nicht das Ende der Liste jener Entwicklungen erreicht, die Volumen, Effizienz und soziale Nachhaltigkeit der heimischen Wohnbauförderung entscheidend schwächten. Es sind noch zwei einschlägige Transformationen des Systems der Wohnversorgung zu ergänzen. Um sie zu verstehen, muss man sich vergegenwärtigen, dass alle bisher erwähnten ‚Reformen‘ durchgezogen wurden, obwohl schon seit den neunziger Jahren ein kontinuierliches Bevölkerungswachstums stattfand, das besonders in den Ballungsräumen zu Buche schlug und dort in Verbindung mit anderen demographischen Trends einen starken Nachfragedruck auf die Wohnungsmärkte ausübte. Da die durch jene ‚Reformen‘ an Armen und Beinen amputierte Wohnbauförderung diesem Druck nicht gewachsen war, musste man zu kurzfristigen ‚Problemlösungen‘ Zuflucht nehmen, die das Problem nicht wirklich lösten, sondern bloß aufschoben bzw. zudeckten, mit anderen Worten also, letztlich verschärften.

Die erste dieser beiden nur scheinbaren ‚Problemlösungen‘ bestand in Panikreaktionen der seit den neunziger Jahren für die Wohnbauförderung verantwortlichen LandespolitikerInnen auf den in manchen Phasen besonders rasch anwachsenden Nachfrageüberhang. Da startete man dann schnell kleine „Wohnbauoffensiven“ und gewährte anstelle der klassischen Förderkredite bloße Annuitätenzuschüsse zu Kapitalmarktdarlehen. Diese Zuschüsse haben nämlich den kurzfristigen Vorteil, dass man mit ihnen bei gleichem Fördervolumen den Wohnbau schneller ankurbeln kann als mit Förderkrediten. Auf längere Sicht kehrt sich dadurch jedoch die anfangs geringere Liquiditätsbelastung für den Fördergeber in ihr Gegenteil um. Denn die Zuschüsse für jede in die Förderung einbezogene Wohnung müssen ja so lange bezahlt werden, wie der jeweilige Kapitalmarktkredit läuft. So kumulieren die Zahlungsverpflichtungen, und der wohnungspolitische Handlungsspielraum des Fördergebers wird zunehmend kleiner. Dies war in besonderem Ausmaß zwischen den Jahren 1990 und 2000 der Fall als sich der Anteil jener hochproblematischen Annuitätenzuschüsse an den Gesamtausgaben der Wohnbauförderung vorübergehend von 23% auf 45% erhöhte.

Zu kurz gedachte Schnellschüsse wie jener mit den Annuitätenzuschüssen führten dazu, dass sich die Wohnbauleistung in den letzten Jahrzehnten nicht kontinuierlich entwickelte, sondern einem ständigen Stop and Go unterlag. Und hier setzte nun die zweite der beiden problemverschärfenden ‚Problemlösungen‘ an. Denn das fortwährende Gasgeben und Bremsen bei der Wohnbauförderung bot den nicht durch die strengen Regeln der Gemeinnützigkeit gebremsten gewerblichen Bauträgern die Möglichkeit, in dem davor nur für die Gemeinnützigen zugänglichen Sektor des geförderten Wohnbaues Fuß zu fassen. Die Gemeinnützigen waren nämlich nicht flexibel genug, um in den Go-Phasen ihre Produktionskapazitäten schnell genug auszuweiten. Die gewerblichen Bauträger, die ohnehin schon lange begehrlich auf die für sie nicht zugänglichen Futtertröge der Wohnbauförderung geschielt hatten, sprangen hier nun bereitwillig in die Bresche und wurden mit einem herzlichen „Vergelt’s Gott“ empfangen. Inzwischen gibt es längst kein Bundesland mehr, in dem nicht neben den Gemeinnützigen auch die gewerblichen Bauträger geförderte Mietwohnungen errichten dürfen.

Diese Öffnung der Wohnbauförderung für das sozial ungebundene Wohnbaukapital war gleichbedeutend mit einer doppelten Schwächung ihrer Nachhaltigkeit: Weil die gewerbliche Bauträger im Gegensatz zu den Gemeinnützigen nicht auf Kostenmieten verpflichten sind, unterliegen die Mieten ihrer geförderten Wohnungen nach dem Auslaufen der Förderung nicht mehr einer strengen Begrenzung. Weil sich darüber hinaus ihr Kapital im Gegensatz zu jenem der Gemeinnützigen nicht auf die Errichtung von gefördertem Wohnraum beschränken muss, gehen ihre im Geschäft mit geförderten Wohnungen erzielten Gewinne für den Finanzierungskreislauf der Wohnbauförderung verloren. Der einst geschlossene Kreislauf wurde so noch stärker durchlöchert, was die ursprünglich sehr hohe Effizienz des heimischen Systems der Wohnbauförderung weiter senkte.

4. Warum der freie Wohnungsmarkt die Probleme nicht löste

Nach einem jahrzehntelangen ‚Reform‘-Prozess ist die heimische Wohnbauförderung so etwa um das Jahr 2010 schließlich in einem Maße zerstört, dass dieser Karren von keinem noch so ambitionierten Sonderwohnbauprogramm wieder aus dem Dreck gezogen werden kann. Nun schlägt daher die Stunde des frei finanzierten Wohnbaus. Jetzt darf der Markt zeigen, was er kann. Da trifft es sich äußerst günstig, dass gerade die Folgen einer weltweiten Finanzkrise zu bewältigen sind und die Europäische Zentralbank die Leitzinsen drastisch senkt, um die Wirtschaft ordentlich anzukurbeln und das Deficit spending zu erleichtern. Die niedrigen Zinsen vermiesen dem Kapital viele der davor genutzten Anlagemöglichkeiten im Finanzbereich, während wegen des ungebrochenen Nachfrageüberhangs auf den Wohnungsmärkten die Mieten und Häuserpreise weiter steigen. Dies ruft einen regelrechten Run auf Investitionsmöglichkeiten im Immobiliensektor hervor – die sprichwörtliche „Flucht ins Betongold“.

Zugleich verlocken die im Gefolge der fallenden Leitzinsen sinkenden Kreditzinsen nicht nur viele kleine Häuslbauer sich auf Teufel komm raus zu verschulden. Auch in den Städten wollen jetzt immer mehr Haushalte ihre Wohnungsprobleme durch den Kauf einer kreditfinanzierten Eigentumswohnung lösen – eine durchaus nachvollziehbare Strategie, wenn einerseits die Immobilienpreise und Mieten scheinbar grenzenlos steigen und andererseits alle Medien die Erzählung von einem vor dem Abgrund stehenden Pensionssystem trommeln. Da ist man dann im Alter mit einer ausbezahlten Eigentumswohnung, bei der nur mehr die Betriebskosten anfallen, aus dem Schneider. Das nun Stadt und Land erfassende Eigentumsfieber führt zu einem gewaltigen Anstieg des Gesamtvolumens der Wohnkredite. Während es 1999 erst ein Fünftel der verfügbaren Einkommen aller Haushalte betrug, macht es 2019 bereits fast die Hälfte aus.

All dies heizt zwar die Bau- und Immobilienpreise immer stärker an. Deren Anstieg begünstigt aber die Spekulation mit Immobilien und lockt dadurch noch mehr Geld in den Immobiliensektor. Beim Preisauftrieb scheint es sich also um ein Problem zu handeln, das seine eigene Lösung immer gleich mit dabei hat. Das begeistert auch viele Sozialdemokraten. 2013 etwa frohlockt der damalige ÖGB-Präsident bei einer den Wohnproblemen gewidmeten Pressekonferenz. „Geld ist da wie Sand am Meer.“ Und der Vorstand der „Sozialbau“ assistiert: „Einen Zinssatz unter zwei Prozent gab es seit Menschengedenken nicht. Dieses niedrig verzinste Kapital muss in den Wohnbau gelenkt werden.“

Auf den ersten Blick ist die Leistung, die der Markt nun vollbringt, tatsächlich beeindruckend. Zwischen 2010 und 2019 gelingt österreichweit eine annähernde Verdoppelung der Bautätigkeit. Stehen die Fertigstellungen 2010 noch bei rund 37.000 Wohnungen und Einfamilienhäusern, so steigt diese Zahl bis 2019 auf über 72.000 an. Österreich katapultiert damit seine Neubauquote an die Spitze Europas. Zwar nehmen während dieses Zeitraums auch die geförderten Fertigstellungen der Gemeinnützigen zu. Aber die weitaus größte Dynamik geht doch vom frei finanzierten Wohnbau der gewerblichen Bauträger aus. War österreichweit bis 2005 erst ein Drittel der neu errichteten Wohneinheiten freifinanziert, so sind es 2015 schon 44%. Und in Wien gelingt den Gewerblichen gar ein Durchmarsch an die Spitze: Hier waren bis 2005 noch gut drei Viertel der Wohnbauproduktion gefördert, während man 2015 bereits zu 63% frei finanzierte Wohnungen errichtet.

Laut den Lehrbüchern der neoliberalen Ökonomie sollte es im Gefolge einer so starken Ausweitung des Angebots zu einer Entschärfung des Engpasses beim Angebot leistbarer Wohnungen kommen. Genau diese Hypothese wird aber durch den jüngsten Immobilienboom eindrucksvoll falsifiziert. Und zwar vor allem deshalb, weil es beim Wohnen (wie bei den meisten Grundbedürfnissen) nicht nur um die reine Quantität des zur Verfügung gestellten Angebots sondern auch um dessen Bedarfsgerechtigkeit geht. Und die verfehlt der freie Wohnungsmarkt meilenweit. Denn die Mehrzahl der von ihm gelieferten Wohnungen ist aus einem der drei folgenden Gründe für die Deckung des dringendsten Bedarfs ungeeignet:

  • Wo AnlegerInnen am Werk sind, die leichte Vermietbarkeit und hohe Rentabilität der Mieten anstreben, errichtet man primär Kleinwohnungen und nicht die vor allem fehlenden Wohnungen für Jungfamilien mit potentiellen Zahlungsproblemen.
  • Wo das spekulative Motiv dominiert, spielt die Vermietbarkeit und damit auch die Leistbarkeit der Wohnung von vornherein nur eine untergeordnete Rolle, weil man vor allem am quasi automatisch steigenden Wert der Immobilie interessiert ist.
  • Wo es um Betongold geht, baut man im obersten Preissegment oder für den Zweitwohnungsbedarf. Letzteres ist vor allem in den alpinen Regionen des Landes der Fall, wo betuchte In- und AusländerInnen Ferienwohnungen mit schönem Panoramablick erwerben.

Mit einem Wort: der Immobilienboom erzeugt vorrangig nicht die den Wohnbedürfnissen und der Zahlungskraft breiter Bevölkerungsschichten entsprechenden Wohnungen, sondern das für kapitalistische Märkte typische Nebeneinander von Mangel und Überfluss. Ersteres bedeutet im Wohnungswesen Überbelag, überhöhte Wohnkostenbelastung und drohenden Wohnungsverlust, letzteres tritt hier auf in Gestalt der Luxus- und Ferienwohnungen sowie des damit verbundenen Leerstands. So findet etwa das Leerstandsmonitoring der besonders stark vom Ferienwohnungsübel geplagten Hauptstadt Tirols derzeit bei fast 9% aller Wohnungen keine Wohnsitzmeldung.

Würde man daher anstelle der nominellen Fertigstellungszahlen die tatsächlich versorgungsrelevante Bauleistung messen, dann sähe das Resultat dieses mittlerweile zu Ende gegangenen Booms äußerst dürftig aus. Noch schlechter wäre die Beurteilung, wenn man neben seinen Leistungen für die Wohnversorgung auch noch seine negativen Nebenfolgen berücksichtigte. Sie resultieren aus dem vom Boom selbst erzeugten Preisauftrieb. Der wurde oben als ein sich immer gleich selbst lösendes Problem bezeichnet. Das war bittere Ironie, den von selbst löst sich dieses Problem nur für die Spekulanten, die auf künftige Preissteigerungen hoffen dürfen. Diejenigen dagegen, die eine Wohnung benötigen, um tatsächlich in ihr zu wohnen, sind nur von den negativen Konsequenzen der unaufhörlich steigenden Mieten und Wohnungspreise für ihre laufenden Ausgaben betroffen. Mit ihnen leidet die gesamte heimische Konsumgüterwirtschaft, der durch die immer weiter steigenden Ausgaben fürs Wohnen ein entsprechend anwachsender Teil der Kaufkraft der österreichischen Haushalte verloren geht.

Bleiben wir aber beim Wohnungswesen, um die destruktive Dynamik des Immobilienbooms noch etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Unmittelbare Folge des Runs von kleinen und großen Investoren auf den Immobilienmarkt ist der eingangs erwähnte drastische Anstieg der Häuser- und Wohnungspreise: Sie zeigen seit 2008 mehr als eine Verdoppelung (plus 135%), während die durchschnittlichen Einkommen im gleichen Zeitraum ziemlich parallel zum Verbraucherpreisindex nur um 34% zulegen, also real stagnieren. Am meisten leidet darunter die Bevölkerung der alpinen Regionen, weil sie wegen des schon beanstandeten Fehlens genossenschaftlicher Alternativen besonders stark auf die Schaffung von Wohnungs- bzw. Hauseigentum fixiert ist. Da die Banken den äußerst geschäftsfördernde Boom nur aufrechterhalten können, wenn die EigentumsinteressentInnen mit dem steigenden Preisniveau mithalten, hetzten sie diese in eine immer höhere Verschuldung hinein. Zuletzt hat über die Hälfte aller Kreditnehmer einen Eigenfinanzierungsanteil von weniger als 20% und fast jeder fünfte hat sich auf Tilgungsraten eingelassen, die mehr als 40% des Haushaltsnettoeinkommens wegfressen. Viele junge Menschen, die nur langfristig fallende Zinsen kennen gelernt haben und nicht mit den Tücken des Finanzwesens vertraut sind, lassen sich in dieser Situation von den völlig skrupellos agierenden Geldinstituten gar auf Kredite mit variablem Zinsfuß ein. Mitte 2022 ist jedes zweite (!) Wohndarlehen eine solche Sprengfalle mit Zeitzünder. Schon ein Jahr später wird eine Familie, die zur Tilgung des variabel verzinsten Kredits für ihre Eigentumswohnung 2022 noch 40% des Haushaltseinkommens aufwendet, fast 70% ihrer monatlichen Einkünfte direkt an die Bank weiter leiten müssen.

Wegen der engen Verzahnung der verschiedenen Sektoren des Wohnungswesens machen sich die negativen Folgen des Immobilienbooms aber nicht nur bei jenen Haushalten bemerkbar, die in neueren Eigentümerwohnungen leben bzw. eine solche Wohnung bauen oder kaufen wollen. Von dem durch den Boom ausgelösten Anstieg der Preise von Baugründen, Baumaterialen und Bauarbeiten ist auch die Errichtung sozialer Mietwohnungen durch die Gemeinnützigen schwer beeinträchtigt. Ihre Bauleistung kann nicht so stark wachsen, wie dies der Bedarf erfordern würde, und ihre Kostenmieten übersteigen das von ärmeren Haushalten leistbare Niveau. Weil aber in den Ballungszentren alle vom Preisauftrieb verschreckten InteressentInnen für Eigentums- und Genossenschaftswohnungen vorübergehend eine Warteposition in einer privaten Altmietwohnung beziehen, induziert der Immobilienboom schließlich auch in diesem Sektor einen zusätzlichen Nachfragedruck auf die Preise der Neuvermietungen.

Wie eng all diese Entwicklungen mit einander verknüpft sind und wie fatal das durch ihr Zusammenspiel entstehende Gesamtresultat ist, zeigt sich geradezu lehrbuchhaft am Beispiel des Bundeslands Salzburg. Hier hat der Immobilienboom die Grund- und Baukosten so sehr angeheizt, dass es den gemeinnützigen Bauträgern trotz mehrfacher Erhöhung der Fördersätze durch das Land immer schlechter gelingt, zu den maximal möglichen Kostenmieten anzubieten. Dies führte dazu, dass in den letzten Jahren die von der Landesregierung angepeilten Zielwerte bei der Neuerrichtung sozialer Mietwohnungen um mehr als 40% unterschritten wurden. In der Folge flossen seit 2019 über 130 Millionen Euro ungenutzter Wohnbauförderungsmittel in das Regierungsbudget zurück. Wegen der aufgehobenen Zweckbindung der Wohnbauförderung sind sie für immer dem sozialen Wohnbau entzogen. Genau wie jene 1,2 Milliarden Euro an Rückflüssen aus einst vergebenen Wohnbaudarlehen, die der ÖVP-Landeshauptmann seit seinem Amtsantritt im Jahr 2013 aus dem einst geschlossenen Finanzierungskreislauf der Wohnbauförderung abzog.

Aus alldem wird deutlich, dass der Wahlerfolg der auf konsequente Wohnreformen dringenden KPÖ PLUS in gerade diesem Bundesland keineswegs ein Zufall war.

5. Was jetzt möglich wäre

Als die Europäische Zentralbank im Sommer des Vorjahres zu einer schrittweisen Anhebung des Leitzinsfußes übergeht und die Finanzmarktaufsicht die Banken zu strengeren Kriterien bei der Kreditvergabe verpflichtet, ist das Fest zu Ende. Die Wohnbauleistung geht deutlich zurück, Bauarbeiter bangen um ihre Arbeitsplätze, Österreichs Wirtschaft fürchtet, in eine Rezession hineingerissen zu werden, große Immobilienspekulanten tüfteln neue Geschäftsmodelle aus, und die stolzen Eigentümer der mit variabel verzinsten Krediten erworbenen Wohnimmobilien überlegen fieberhaft, wie sie aus der Falle, in die man sie lockte, wieder herauskommen könnten.

Und was macht der Bedarf an leistbaren Wohnungen?

Der ist ungedeckter denn je. Doch zum Glück weiß die ÖVP, wie man das Problem lösen kann: Die Finanzmarktaufsicht soll ihre strengen Kreditvergaberegeln wieder lockern, damit sich Häuslbauer und Eigentumsinteressenten wieder so richtig tief verschulden dürfen. So könnte dann Österreichs Jugend aller wohnungs-, raum- und klimapolitischen Vernunft zum Trotz an ihrem obersten Lebensziel, dem Traum vom Wohnungs- bzw. Hauseigentum, festhalten. Und so nebenbei könnte dann die ÖVP den gerade auslaufenden Immobilienboom vielleicht noch rechtzeitig vor den nächsten Nationalratswahlen wieder hochpäppeln. Aber natürlich geht es der die oberste Verantwortung für das Wohl dieser Republik tragenden Partei nicht nur um etwas so Triviales wie das nächste Wahlergebnis. Worum es wirklich geht, erklärt uns eine Meinungsforscherin im profil vom 28.4.23. Sie weiß, dass wir es hier mit dem grundlegendsten aller Motivationsprobleme zu tun haben, von dessen Lösung Sein oder Nichtsein dieser Gesellschaftsordnung abhängt. Wenn nämlich die Finanzierung von Haus- und Wohnungseigentum nicht mehr möglich ist, „dann fragen sich viele junge Leute, wofür sie noch ‚reinhackeln‘ sollen. Da genießen sie lieber das Hier und Jetzt“. Und das muss die Familienpartei ÖVP, der es ja um die Zukunft der Kinder dieser Sozialschmarotzer geht, mit allen Mitteln verhindern.

Dem Ziel, sämtliche unter Aufsicht und zum Wohl des Kapitals in ihren Hamsterrädern laufenden Tierchen in Bewegung zu halten und wenn möglich zu einem noch etwas schnelleren Trippeln ihrer kleinen Hamsterbeinchen anzuregen, scheint sich leider auch meine eigene Partei, die SPÖ, zu verschreiben. Zwar holt sie zunächst mit großer Geste gegen „die Banken“ aus, um ihnen jene „Übergewinne“ zu entreißen, die daraus resultieren, dass der Zinsfuß, zu dem sie ihr Geld bei der Europäischen Zentralbank parken, viel höher ist als jener, den sie selbst ihren Sparern gewähren. Diese Übergewinne möchte sie aber leider nicht für erste Schritte auf dem Weg zur Etablierung einer zeitgemäßen Wohnbauförderung verwenden. Ihr Vorschlag für die Verwendung der Mittel aus der geforderten Bankensondersteuer zeigt vielmehr auf, wie erschreckend tief die bürgerliche Eigentümerideologie in die einstige Partei des Sozialen Wohnbaus und der Siedlerbewegung eingedrungen ist. Der zum Test der Publikumswirksamkeit dieses Konzepts vor den Vorhang geschickte Jungobmann der niederösterreichischen SPÖ möchte mit jenen Mitteln nämlich einen „Zinspreisdeckel bei Wohnkrediten“ für „Häuslbauer und alle anderen, die Eigentum erwerben“, finanzieren. Genau wie die von der ÖVP vorgeschlagene ‚Problemlösung‘ würde auch dieser Zinspreisdeckel bloß den derzeit relativ sanft ausklingenden Boom des frei finanzierten Wohnbaues künstlich verlängern – womöglich so lange, bis er dann mit einem lauten Knall endet, wie dies zuletzt in Schweden geschah, wo die Immobilienpreise so jäh abstürzten, dass dem Land nun als einzigem in der EU eine echte Rezession droht.

An dieser Stelle drängt sich daher die Frage auf: Geht’s noch?

Auch weitere Fragen stehen im Raum, aber bis heute – eine Woche nach der Unterbreitung jenes SPÖ-Vorschlags – hat sie noch niemand gestellt. Denn angesichts dieser populistischen Nullnummer der Sonderklasse verschlägt es sogar einem Herbert Kickl einige Schrecksekunden lang die Sprache. Der hatte kürzlich selbst eine Bankensondersteuer gefordert, war aber im Gegensatz zum Obmann der niederösterreichischen SPÖ nicht auf die geniale Idee gekommen, dass man damit einen Zinspreisdeckel finanzieren könnte, durch den das zuerst den Banken weggesteuerte Geld sofort wieder zu ihnen zurückwandert. Der SPÖ-Zinspreisdeckel ist nämlich eine Mogelpackung, die nicht die von den Banken geforderten Zinsen deckelt, sondern nur in einer den Kreditnehmern ausbezahlten Beihilfe für ihre Zinszahlungen besteht. Die soll künftig beim Kauf der ersten Immobilie die Differenz zwischen den von den Banken verlangten Zinsen und den im SPÖ-Vorschlag vorgesehenen Maximalzinsen von 3% für einen Kredit von höchstens 300.000 Euro abdecken.

Das in Jahrzehnten des wohnungspolitischen Niedergangs kontinuierlich geschrumpfte Verständnis der SPÖ-Strategen für das kleine Einmaleins der Wohnbauförderung reicht offenbar nicht mehr aus für die Einsicht, dass solche Subjektförderungen Gift für jeden effizienten, weil in sich geschlossenen Förderkreislauf sind. Wenigstens ihre verteilungspolitischen Reflexe sollten aber doch noch so weit intakt sein, dass sie begreifen, wie sehr derartige Förderinstrumente die ohnehin schon krasse Vermögensungleichheit noch weiter verschärfen. Vielleicht könnte man sich diesen Aspekt der ganzen Angelegenheit noch einmal von Barbara Blaha, der Leiterin des Momentum Instituts erklären lassen. Die schrieb vor einigen Monaten über die damals von der Regierung als Ersatz für einen echten Mietendeckel aus dem Hut gezauberte Beihilfenlösung folgendes: „Die Regierung schaufelt so noch mehr Geld von unten nach oben. Aus … unser aller Steuertopf, wandern so mittelbar 250 Millionen auf die Konten der reichsten zehn Prozent. Ausgeschüttet an die Mieter:innen, direkt weiterüberwiesen.“

Der SPÖ-Zinspreisdeckel ist aber nicht nur in verteilungspolitischer Hinsicht hochproblematisch, sondern unterläuft auch das Bekenntnis der Sozialdemokratie zur Losung „Die Wohnung ist keine Ware.“ Indem er den Erwerb der Ware Wohnung erleichtert, unterwirft er sich dem von der neoliberalen Ökonomie postulierten Primat des freien Marktes bei der Wohnversorgung der Haushalte. Dieses Konzept, das dem sozialen Wohnbau nur korrektive Ergänzungs- und Lückenbüßerfunktionen im Falle eines partiellen bzw. vorübergehenden Marktversagens zuordnet, ist derzeit nicht nur in Österreichs Wohnungspolitik das Maß aller Dinge. Es bestimmt vielmehr auch die Perspektive der heimischen Wohnbauforschung. So untersucht etwa eine jüngst vom WIFO publizierte Studie, „inwiefern der gemeinnützige Wohnungsbestand einen preisdämpfenden Effekt auf das gewinnorientierte Wohnungssegment entfaltet“. Sie kommt dabei zu dem Ergebnis, „dass eine Steigerung des GBV-Marktanteils um zehn Prozent zu einem Rückgang der unregulierten Mieten um 30 bis 40 Cent pro Quadratmeter führt“.

Die Begeisterung des Verbands Gemeinnütziger Bauvereinigungen über die hier bestätigten Dämpfungseffekte beweist, wie weit sich der soziale Wohnbau bereits an den Rand drängen ließ, und wie sehr er sich schon identifiziert mit der Rolle eines bloßen Marktkorrektivs. Vor dem Hintergrund des vorliegenden Rückblicks auf vierzig Jahre der kontinuierlichen Zurückdrängung des sozialen Wohnbaus lösen die Resultate der erwähnten Studie etwas weniger Begeisterung aus, sondern regen eher zu einem Gedankenexperiment an. Es stellt die Frage, um wie viel die durchschnittlichen Mieten der ÖsterreicherInnen wohl niedriger wären, wenn man all die in den vorangehenden Abschnitten aufgelisteten Akte der Zerstörung des heimischen Systems der Wohnversorgung unterlassen hätte, sodass dieses noch ähnlich funktionsfähig wie am Beginn der neunzehnachtziger Jahre wäre.

Wer bei derartigen Gedankenspielen nicht in Wehmut versinken will, muss sich einen ganz großen Ruck geben und einen echten Paradigmenwechsel ins Auge fassen. Dieser hätte den derzeit geltenden Primat des freien Wohnungsmarkts durch ein neues oberstes Axiom des leistbaren Wohnens zu ersetzen. Es besagt, dass der geförderten Bau von Miet- und Genossenschaftswohnungen durch sozial gebundene Bauträger wieder absoluten Vorrang bei der Wohnversorgung der Haushalte erhalten muss und nicht mehr bloß als Preiskorrektiv für den freien Wohnungsmarkt fungiert, oder als Lückenbüßer, der in die Presche springt, wenn der Wohnbau für renditeorientierte Bauträger gerade wieder einmal zu unprofitabel wurde (wie derzeit gerade der Fall). Damit ein solcher Paradigmenwechsel gelingt, wäre österreichweit ein Förderinstrumentarium zu etablieren, das soweit wie möglich nur auf langfristige Billigdarlehen für Kommunen, gemeinnützige Bauträger und mit diesen kooperierende Baugruppen abstellt.

Die von SPÖ und FPÖ ins Spiel gebrachte Bankensondersteuer könnte diesem förderpolitischen Neustart den nötigen Anschub verleihen. Würde man sich ferner zur Wiederherstellung der Zweckbindung der Wohnbaufördergelder und zur Unterbindung aller Abflüsse dieser Gelder in den Eigentumssektor durchringen, wäre die ökonomische Nachhaltigkeit des Fördersystem als ein in sich geschlossener Finanzierungskreislauf wieder hergestellt. Mit dessen Hilfe könnte man dann sowohl in den städtischen Ballungszentren als auch in den ländlichen Regionen den Bau von sozialen Miet- und Genossenschaftswohnungen wieder auf Schiene bringen. Bei diesem Vorgehen wären außerhalb der Städte die Türen weit zu öffnen für Experimente mit neuen, den Erfordernissen des ländlichen Raumes gerecht werdenden Fördermodellen und Kooperationen zwischen gemeinnützigen Bauträgern, selbst organisierten Baugruppen und Kommunen. Diese Experimente müssten neben der Errichtung von verdichteten Flachbauten auch Umbau und Sanierung der großen Anzahl von Einfamilienhäusern und sonstigen Gebäuden ermöglichen, welche im Gefolge der seit Jahren zu beklagenden Ausdünnung der dörflichen Infrastruktur und des bei den Eigenheimen kontinuierlich stattfindenden Generationswechsels leer stehen.

Ein derart umfassendes Programm des sozialen Wohnbaus wäre die Basis für den Aufbau eines für breite Bevölkerungsschichten leistbaren und ohne lange Wartezeiten zugänglichen Bestands an sozialen Mietwohnungen. Weil dieser auch den Wohnbedürfnissen im ländlichen Raum gerecht würde, könnte man mit ihm eine echte Alternative zu den derzeit von der Bevölkerung über alle Maßen geliebten Eigenheimen und Eigentumswohnungen etablieren. Bei der künftig von der Förderung auszuschließenden Produktion von Wohneinheiten dieses Typs dürfte dann der Markt zur Freude aller neoliberalen ÖkonomInnen weiterhin seine Überlegenheit über den öffentlich geförderten und gemeinwirtschaftlich abgewickelten Wohnbau beweisen.

Wurde es jetzt irgendjemandem allzu utopisch? Ja das war Utopie. Und ich hätte da noch einige weitere Forderungen zur Mieten- und zur Bodenpolitik auf Lager – durchwegs ebenso utopisch, zugleich jedoch nicht utopischer als ein flächendeckendes Angebot an ganztägiger Kleinkindbetreuung, eine 32-Stundenwoche und ein Termin ohne Wartezeit bei einem Facharzt mit Kassenvertrag. Während aber all diese Utopien Themen der aktuellen politischen Diskussion sind, weil sie gesellschaftliche Notwendigkeiten darstellen, sind im Wohnungswesen viele Aspekte des gesellschaftlich Notwendigen immer noch tabu.

Lasst uns diese Tabus endlich brechen und beginnt zu diskutieren!